Wie ich auf die beste Serie des Jahres gestoßen bin. Ich hätte nicht gedacht, dass mir ein Kollege im Büro zwischen Tür und Angel die für mich beste Serie des Jahres empfehlen würde, wo ich doch selbst die Serienwelt so intensiv verfolge. „Ich habe noch nie in einer Serie so schöne Bilder gesehen“, schwärmte er mir vor. Das machte mich hellhörig.
Autor: Alper K. Turfan
Von der australischen Serie „Die verlorenen Blumen der Alice Hart“ hatte ich bis dahin noch nie etwas gehört. Auch das zugrundeliegende Buch sagte mir nichts. Die Begeisterung meines Kumpels und der poetische Titel aber hatte meine Neugier geweckt. Doch noch bevor ich auf Amazon Prime Video auf die Serie klickte, kam mir das Gesicht auf dem Vorschaubild bekannt vor. Ist das nicht Sigourney Weaver? Bekannt aus geliebten Klassikern wie Ghostbusters und Alien? Was treibt eine Ikone wie Sigourney Weaver in ihren Siebzigern von Manhattan nach Australien, um eine kleine, stille Drama-Serie zu drehen? Die Drehbücher müssen sie überzeugt haben. Was ich allein in der ersten Folge sah, ließ mich nicht mehr los.
Miniserie in exotischer Kulisse
In den sieben Folgen der Miniserie geht es um das neunjährige Mädchen Alice Hart. Sie wächst in einer gewalttätigen Familie auf. Ihr Vater hat nur selten seine Wut unter Kontrolle und lässt sie an seiner schwangeren Frau und seiner hilflosen Tochter aus. Regelmäßig träumt Alice davon, ihren Vater in Brand zu setzen. Eines Tages setzt sie ihren Plan um: Das Haus geht in Flammen auf und ihre beiden Eltern ersticken darin. Fortan wächst die traumatisierte Alice bei ihrer Großmutter June auf. June betreibt mit ihrer Partnerin eine Blumenfarm. In Wahrheit dient die Farm aber als Zufluchtsort für Frauen, die Gewalt erlebt haben. Gemeinsam gedenken sie all den Frauen, die es nicht auf die Farm geschafft haben und Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Sie nennen sie die „verlorenen Blumen“. Blumen bestimmen nicht nur den Alltag dieser Frauen, Junes Familie hat sogar eine eigene Sprache geschaffen, um mit Blumen zu kommunizieren. Inmitten echter und metaphorischer Blumen muss Alice aber herausfinden, dass June das eine oder andere Geheimnis birgt und zum Lügen neigt.
Was hat diese unerschütterliche Frau nur so starrköpfig und manipulativ gemacht? Das gilt es herauszufinden und schon nach kurzer Zeit musste ich meinem Kollegen Recht geben: Tatsächlich offenbart diese Serie faszinierende Bilder und erhabene Landschaften von der anderen Seite des Erdballs. Die Serie aber nur für ihre exotische Kulisse und die gelungene Kameraarbeit zu loben, würde ihr nicht gerecht werden.Wir begleiten Alice nicht nur durch ihre turbulente Kindheit, sondern auch in den frühen Jahren ihres Erwachsenendaseins. Wir erleben sie inmitten einer Gemeinschaft von Frauen und Männern, die Mädchen und Frauen helfen, aus einer Spirale der Gewalt auszubrechen.
Diese wunderbare und noch viel zu unbekannte Serie erforscht die psychischen Dynamiken gewalttätiger Beziehungen. Es geht um Frauen, die in instabilen Beziehungen aufwachsen, sie als normal wahrnehmen und daher auch im Erwachsenenalter ebensolche Beziehungen suchen. Männer werden hier auch nicht unter Generalverdacht gestellt, sondern werden wie die vielen weiblichen Figuren vielschichtig gezeichnet. In dieser sensiblen Geschichte geht es auch vielmehr um die Wege, nach unvorstellbaren Grauen in ein selbstbestimmtes Leben zurückzufinden.
Herzzerreißende Geschichte
Die verlorenen Blumen der Alice Hart habe ich als herzzerreißende, berührende und aufwühlende Geschichte wahrgenommen. Dazu haben die vielen Figuren beigetragen, doch gerade Sigourney Weavers Schauspiel hat mich elektrisiert. Es ist, als habe sie sich selbst damit ein Denkmal gesetzt. Weaver spielt eine traumatisierte Frau, die noch Jahrzehnte später von ihrem Schmerz geplagt wird und eine Fassade aufbaut. Sie lernt, ihren Willen durchzusetzen und ihre Stärke dafür einzusetzen, anderen Menschen einen sicheren Hafen zu bieten. Doch auch die Handlung selbst ist vielschichtig und voller Spannung gestrickt. Es gibt Rätsel und Geheimnisse zu lüften, Ereignisse überschlagen sich und die Serie nimmt sich auch Zeit für stille Momente der Ruhe, Heiterkeit und Erlösung.
Ich sollte mich bei meinem Kollegen für den Tipp bedanken… Vielleicht mit einem Strauß Blumen!
Im beigefügtem Video ab 23:53 spreche ich ausführlicher über die Serie.
Fotos: Alper Turfan