Hallo, Leute. Ich heiße Alper. Ich… ich bin ein Abhängiger. Einer meiner engsten Freunde, Jonas, ist es auch. Vielleicht ist genau das das Problem. Leute nennen uns Serienjunkies. Ihr seid es sicherlich auch. Vielleicht merkt ihr sogar, dass ich gerade den berührenden, siebenminütigen Monolog von Carmy aus der noch immer unterschätzten Serie „The Bear“ zitiere.
Autor: Alper K. Turfan
Genau wie Carmy sind wir eigentlich glücklich und das nicht nur, weil The Bear dieses Jahr in eine wohlverdiente dritte Staffel geht. Wir haben beide unsere Leidenschaft zu unserem Beruf gemacht und uns einen kleinen Traum erfüllt. Wir verfassen Kolumnen wie diese hier, betreiben einen nischigen YouTube-Kanal und verpacken endlose Wortschwalle in trendige Podcast-Form. Wir quatschen, blödeln und fachsimpeln über Serien und da genug Leute zuhören, können wir dadurch Brötchen, Zitronentörtchen und Met auf den Tisch bringen.
Ritter, Drachen, ewiger Kampf
Doch keiner unserer Inhalte ist so beliebt wie unsere stundenlangen Gespräche über „Game of Thrones“ und „House of the Dragon“. Keine Geschichte fesselt uns so sehr wie die verworrene Erzählung über Ritter, Drachen und den ewigen Kampf um den Eisernen Thron und damit die Herrschaft über den fiktiven Kontinent Westeros. Diese sogenannte Welt von Eis und Feuer ist dermaßen komplex, dass man so manches Detail schon mal vergessen kann. Doch genau wie Carmys Bruder Mikey in The Bear gibt mir Jonas das nötige Selbstvertrauen, meine Arbeit fortzuführen. Er kann sich Details merken wie kein Zweiter und jedes Mal, wenn ich mir denke „So gut kennen wir uns doch gar nicht aus“, sagt er: „Wir machen einfach und dann schauen wir weiter. Wir schaffen das.“ Bisher hat er immer recht behalten. Aber in diese Sucht sind wir unabhängig voneinander geschlittert.
Orkische Hexenmeister, britische Schönlinge
Das erfreuliche Übel nahm seinen Lauf im Jahr 2011. Ich fragte mich: „Was kann dieses Game of Thrones schon sein, über das gerade alle Fantasy-Freunde so abnerden?“ Geht’s wieder um britische Schönlinge, die in Karnevalskostümen herumlaufen und gegen orkische Hexenmeister kämpfen, die wirken, als wären sie in grüne Farbeimer gefallen? Da das aber genau mein Ding ist, gab ich der Serie eine Chance… und da war es schon um mich geschehen. Die erste Folge ergriff mich wie Gollum den Einen Ring im Schicksalsberg. Kaum eine Serie konnte in mir bis dato ein ähnliches Feuer entfachen.Für die umfassende Geschichte dieser Welt interessiere ich mich mittlerweile mehr als für die echte. Ich kann alle siebzehn Targaryen-Könige herunterrattern, aber wenn ich die deutschen Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg aufzählen soll… Puh, lieber nicht. Konrad Adenauer auf jeden Fall… aber nach ihm wird’s schon hakelig.
Weltweites Phänomen, absurdes Finale
Aber irgendwie musste nun einmal Platz im ratternden und ungeölten Denkgetriebe geschaffen werden, nachdem ich mich gleich mehrmals durch die fast achttausend Seiten der Bücher geackert hatte (wenn man die Begleitwerke dazu zählt), um die über zweitausend namentlich genannten Figuren kennenzulernen (ja, jemand hat sich die Arbeit gemacht, sämtliche Figuren zusammenzuzählen). Auch die ersten Staffeln von Game of Thrones liefen etliche Male über meinen Fernseher, mitsamt des stundenlangen Bonusmaterials. Ich verfolgte sogar den Blog des Schriftstellers und Schöpfers George R. R. Martin. Wenn das kein Suchtverhalten ist, weiß ich auch nicht.
Ich war aber auch nicht der einzige: Die Serie wurde zu einem weltweiten Phänomen und jedes Mal, wenn wir uns erneut in die Welt von Eis und Feuer stürzten, fühlten wir diesen Komfort, diesen kuscheligen Kokon, abgeschirmt von der beängstigenden Realität. Bis ein Streithammer namens „Staffel 8“ unser Refugium zu Brei schlug. Mittlerweile dürfte sich bei allen herumgesprochen haben, welch unehrenhaftes, absurdes und strunzdummes Finale der Serie zugeschustert wurde. Keine Sorge, dieses Trauma möchte ich hier nicht noch einmal ausbreiten.
Der Fall, ein tiefes Loch
Danach fiel ich erst einmal in ein tiefes Loch. Es dauerte lange, bis Jonas und ich akzeptieren konnten, dass die Zeit von Eis und Feuer nun vorbei war. Unsere Sucht fand ein jähes Ende. Sicher, wir hätten die Bücher noch ein weiteres Mal lesen und uns mit den ersten Staffeln der Serie begnügen können. Aber zu wissen, auf welches Ende die Serie zu steuert, verhindert jeden Rewatch. Auch auf literarischer Ebene herrscht Totenstille: Auf das sechste von den sieben geplanten Büchern, „The Winds of Winter“, lässt GRRM nun schon dreizehn Jahre warten.Dreizehn Jahre… Die Wartezeit hat mittlerweile Akne, starke Stimmungsschwankungen und ist in Laura aus der 6b verknallt.
Erneuter Welterfolg
Wir dachten, wir hätten mit Game of Thrones abgeschlossen. Die weltweite Hype-Serie schlechthin wurde vergessen wie eine Reality-Show über abgehalfterte Rockstars.Doch dann stieg die Sonne am Horizont empor und der Sender HBO präsentierte eine neue Serie aus demselben Universum: House of the Dragon. Endlich wieder eine Serie nach unserem Geschmack! Statt sein sechstes Buch fertigzustellen, hatte GRRM lieber ein Geschichtsbuch über das Haus Targaryen verfasst und dieses Werk wurde die Vorlage für die Serie… und sie mauserte sich zum erneuten Welterfolg! Sicher, gerade wenn man die Serie mit den Büchern vergleicht, können wir nun über bestimmte Figuren und Details diskutieren oder unseren Unmut über diesen oder jenen „Lore-Bruch“ äußern. Aber das machen wir in unserem Podcast schon genug. Dafür treffen Atmosphäre, Inszenierung und Schauspiel mal wieder ins Schwarze! Alles, was ich sagen möchte, ist: Es gab nie eine bessere Zeit, der Sucht von Eis und Feuer zu unterliegen, als jetzt!
Die zehn Folgen der ersten Staffel hat man an einem Wochenende durchgesuchtet (auf WowTV). Es bedarf keines Vorwissens. Die Serie beginnt zweihundert Jahre VOR den Ereignissen von Game of Thrones. Sicher wird man die eine oder andere Anspielung oder so manchen Nostalgie-Moment nicht verstehen, aber wer jetzt loslegt kann rechtzeitig in die zweite Staffel einsteigen und Folge für Folge mitfiebern, wie sich das Herrscherhaus Targaryen Folge für Folge dekonstruiert.
Kurzum: Guckt House of the Dragon. Das war alles, was ich sagen wollte.
Bilder: Alper K. Turfan