Alper Turfan hat nachgedacht und stellt Netflix ein paar unbequeme, aber berechtigte Fragen. Ob er eine Antwort erhalten wird?
Netflix könnte so happy sein: „Dahmer“ war ein Mega-Erfolg! Die Serie über den gleichnamigen Serienmörder avancierte zu einer der meistgesehenen Serien des Jahres. Wer nicht gerade den Fantasy-Serien „Ringe der Macht“ oder „House of the Dragon“ verfallen war, sah sich vielleicht auf Netflix die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele an. Die True-Crime-Serie ist durchaus beeindruckend: Das kompromisslose Schauspiel des Hauptdarstellers Evan Peters sorgt für eine düstere Atmosphäre. Schon in der ersten Folge fühlt man sich mitten in Dahmers verdrecktes Wohnzimmer versetzt. Was würde man selbst in dieser Situation tun, um zu entkommen? Aber die Familienangehörigen der realen Opfer waren entsetzt. Denn bevor die Serie umgesetzt wurde, fand nicht ein Gespräch mit ihnen statt. Viele Zusehende empfanden die gesamte Serie schon allein deswegen als geschmacklos. Doch Netflix setzt jetzt noch einen drauf: Der Streamingdienst verlangte vom Serienschöpfer Ryan Murphy nicht nur zwei neue Staffeln, sondern protzte im Vierteljahresbericht mit einer interessanten Infografik. Die Grafik sollte beweisen, dass Dahmer erfolgreicher sei als die zeitgleich laufenden Serien House of the Dragon und Ringe der Macht. Sie zeigte nämlich, dass der Begriff „Dahmer“ im selben Zeitraum öfter gegoogelt wurde als die Titel der beiden opulenten Fantasy-Serien.
Wirklich, Netflix?
Man kann schon verstehen, dass man nach heftigen Aktieneinbrüchen und mehreren Monaten schwindender Abo-Zahlen wieder nach Erfolgserlebnissen dürstet. Aber so? Für mich ist es schon hanebüchener Unsinn, den Erfolg einer Serie daran zu messen, wie viele Menschen den Titel googeln. So einfach kann man sich die Welt malen, wenn man die Zugriffszahlen auf eine Serie nur dann veröffentlicht, wenn man möchte. Aber dass Menschen bei einer Serie, die auf wahren Begebenheiten basiert, eher nach den realen Hintergründen suchen, liegt doch auf der Hand, oder nicht? Ist es nicht schon patzig, als Aktienunternehmen solche Grafiken zu veröffentlichen und gegen die Konkurrenz zu treten? Findige User fanden zudem heraus: Vergleicht man mehrere verschiedene Suchbegriffe miteinander, hat die HBO-Serie House of the Dragon die Nase vorn.
Das Unternehmen Parrot Analytics betrachtete die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken und folgerte: Über keine Serie wurde so viel diskutiert wie über House of the Dragon. Autsch. Die Netflix-Kampfansage war aber ausgesprochen. Für das Unternehmen stand viel auf dem Spiel, denn für den Streamingdienst war die Botschaft kritisch: Das Bingewatching-Modell sei den Veröffentlichungsweisen der anderen Plattformen überlegen! Dahmer sei ein klarer Beweis dafür, wie wichtig es wäre, alle Folgen einer Staffel auf einmal zu veröffentlichen. Leute seien gefesselter von einer Serie, wenn sie sie auf einen Schlag durchsuchten können, statt jede Woche auf eine neue Episode zu warten. Aber, liebes Netflix-Team … Warum habt ihr dann eigentlich die neuen Staffeln von „Haus des Geldes“ und „Stranger Things“ doch wieder unterteilt und in zwei Häppchen veröffentlicht?
VIDEOTIPP
Bingewatching versus weekly? Was ist besser?
Fotos: Alper Turfan