Worauf hatte ich mich nur eingelassen? Da saß ich nun auf der Couch, mit der zentnerschweren Fernbedienung in der Hand, mit einem felsengroßen Kloß im Hals, kaum in der Lage, den genoppten Gummiknopf zu drücken. Mein Kollege Jonas und ich hatten verabredet, nach sechs Jahren die letzte Folge von Game of Thrones noch einmal zu gucken und auf unserem YouTube-Kanal zu besprechen.
Autor: Alper K. Turfan
War das Finale wirklich so erbärmlich wie wir es in Erinnerung hatten? Ohne Zweifel: In den ersten vier Staffeln war Game of Thrones das ergreifendste, spannendste und komplexeste Serienerlebnis, das je über die Bildschirme flimmerte. Die Serie brachte uns zu den Büchern von George R. R. Martin und begeisterte uns mit der Detailverliebtheit, mit der der Fantasy-Autor seine Welt konstruierte. Die fast fünftausend Seiten der englischen Romane las ich gleich zweimal.
Als die Serie aber die Bücher überholte, fiel die Qualität schneller als Brandon Stark nach seinem Aufeinandertreffen mit Jaime Lannister. Doch auch wenn es in den Staffeln 5 und 6 noch Lichtblicke gab, wurde der mittelalterliche Fantasy-Karren in der achten und finalen Staffel nicht nur an die Wand gefahren, sondern gleich in Brand gesetzt. Und angespuckt.
Ich gab mir einen Ruck und schaltete die Serie nach langem Hadern doch ein. Nach dem geliebten Intro, in dem sich Westeros Stück für Stück aufbaut, und der legendären Musik von Ramin Djawadi ging es gleich in die ruinierte Hauptstadt des Königreichs. Tyrion schlurfte durch die engen versengten Gassen und Peter Dinklages altbekanntes Gesicht strahlte mich an. Mich ergriff die Schwere in seinen Augen. Ich fühlte mich fast als würde ich einen alten Freund aus der Heimat wiedertreffen.
So zogen die ersten Minuten in die Königslande… und überraschten mich. So fesselnd hatte ich die Folge nicht in Erinnerung! Die stimmige Inszenierung, die epischen Bilder, die dramatische Tragweite der Handlung… Hatten wir uns geirrt? Lag die gesamte Serienwelt daneben? War die miserable Bewertung auf IMDb, die über die Jahre von 4,6 auf eine bedauerliche 4,0 gefallen war, unbegründet? Für fünfzehn hoffnungsvolle Minuten zweifelte ich an meinem Verstand und war wieder Feuer und Flamme für die Welt von Eis und Feuer… Doch wusste ich auch, dass das Übel noch seinen Lauf nehmen sollte, spätestens ab der Szene in der sogenannten Drachengrube. Und genau so kam es auch. Da war es wieder… Dieses alte Serien-Trauma, das aus seinem Kokon gerissen wurde.
Die restliche Folge dümpelte von Dummheit zu Nonsens und riss alles nieder, was die Fantasyserie einst so umschwärmt gemacht hatte, wie ein Drache im Porzellanladen. Das Schlimmste sind nicht mal die faktischen Fehler innerhalb der Lore oder die überstürzte Handlung oder die hirnrissigen Dialoge. Das Fatale ist, wie sich die Situation um die Stark-Kids verdichtet, weil die Serienschöpfer D.B. Weiss und David Benioff beweisen, dass sie die differenzierte, komplexe Erzählweise von GRRM nie wirklich begriffen haben.
Dennoch fiel mir etwas auf, als die Schwarze Festung ihre Tore niederließ und der Abspann lief: Ich hatte etwas über mich selbst gelernt. Auch die Liebe zu einer Erzählung kann sich entfalten. Etwas zu lieben bedeutet auch, die Makel anzunehmen. Liebe kann eine bewusste Entscheidung sein. So hat mir der Rewatch gezeigt: Ich liebe Game of Thrones noch immer.
Vielleicht ist es genau das, was wahre Fankultur ausmacht: nicht sich bedingungslos zu begeistern und dabei alle Fehler auszublenden und wegzureden, sondern bewusst daran festzuhalten trotz aller Tiefschläge und Enttäuschungen.
Bilder: Alper Turfan