Serienreife …. Netflix, Chill & Zeitverschwendung

Zu meinen ewigen Lieblingsfilmen zählt der nachdenkliche Sci-Fi-Klassiker „Blade Runner“. Gerade der Schlussmonolog von Rutger Hauer stellt mir jedes Mal die Körperhaare auf: Seelenruhig blickt die menschgewordene Maschine ihrem Ableben entgegen und sinniert über die Natur unserer Menschlichkeit. Der „Replikant“ schwelgt in seinen Erinnerungen und ermahnt uns, unsere Lebenszeit als unser kostbarstes Gut wertzuschätzen.

Autor: Alper K. Turfan

Der Film ist ein Evergreen. Viele, die heute in der Film- und Serienbranche arbeiten, dürften den Film trotz seines betagten Alters gesehen haben. Meine Frage geht daher ganz gezielt an die entscheidenden Personen bei Netflix: Habt ihr Blade Runner nicht gesehen oder warum verschwendet ihr das kostbarste Gut, das eure Kundschaft hat?

Beliebte Serien vorzeitig eingestellt

Wie sonst soll man das nennen, wenn beliebte Serien vorzeitig das Zeitliche segnen müssen, bevor die Handlung ein zufriedenstellendes Ende findet? Ein Beispiel: Mittlerweile vergessen, wurde die deutsche Serie „1899“ doch von vielen Serien-Fans herbeigewünscht. Der Mystery-Stoff machte neugierig: Reisende aus allen Ländern stoßen auf dem Weg zum neuen Kontinent auf ein Schiff, das menschenleer auf offener See treibt. Auf dem verlassenen Schiff nahm ein Fiebertraum seinen Lauf, doch die Serie enttäuschte. Die Figuren offenbarten sich als eindimensional, dementsprechend langweilten die platten Dialoge.

Gegen Ende aber trumpfte die Serie noch einmal auf. Kinnladen klappten Richtung Boden, als ein stürmischer Twist nicht nur die Geisterschiffe, sondern auch die Geister der Zuschauenden kentern ließ. Alle waren gespannt auf den Fortgang der Serie. Was hatte das Autorenpaar Baran bo Odnar und Jantje Friese für uns auf Lager? Schließlich gelang den beiden mit ihrer Serie „Dark“ schon ein echter Achtungserfolg mit unzähligen Irrungen und Wirrungen in der verschachtelten Handlung. Doch Netflix vermieste die Party wie ein rassistischer Onkel, der zu tief ins Glas geblickt hat. Netflix schob der ambitionierten Serie nach nur einer Staffel den Riegel vor und pfiff darauf, dass die Staffel auf einem Cliffhanger endete.

Schon vor ein paar Jahren war ich entsetzt, als „The OA“ eingestampft wurde. Darin geht es um eine blinde Frau, die spurlos verschwindet und nach sieben Jahren mit wiederhergestellter Sehstärke und einer Amnesie zurückkehrt. Die Serie entwickelte eine gewaltige  Fangemeinschaft. Doch Netflix stellte die Serie trotz lautstarker Proteste nach nur zwei Staffeln ein und das obwohl ursprünglich fünf Staffeln geplant waren.

Eigentlich ein waschechter Geheimtipp

Eigentlich ist auch die Netflix-Serie „I Am Not Okay With This“ ein waschechter Geheimtipp. Die unglückliche Schülerin Sydney stellt darin fest, dass sie über telekinetische Kräfte verfügt. Mit Fingerspitzengefühl breitet sich nicht nur ein bedrückendes Familien-Drama aus, auch die Herausforderungen des Teenie-Lebens werden erforscht. Genau wie in 1899 endet auch hier die erste Staffel mit einem fulminanten Cliffhanger. Netflix zog dennoch den Stecker. I Am Not Okay With This, dachte ich mir. Der Titel wird zum Programm.

Zugegeben, auch andere Streaming-Dienste sägen Serien ab, doch niemand scheint so eiskalt zu agieren wie der Streaming-Gigant mit dem großen N. Auch wenn ich mich an die kreative Zombie-Serie „Santa Clarita Diet“ erinnere, an die düstere Horror-Serie „Archive 81“ oder die elektrisierende Serie „GLOW“ über Wrestlerinnen in den 80ern, blicke ich mit müden Augen gen Horizont wie einst Rutger Hauer.

Eigentlich möchte ich in dieser Kolumne gelungene Serien weiterempfehlen. All diese Serien sind auf ihre eigene Weise hochinteressant, wenn nicht sogar fantastisch. Doch darf man wirklich eine Geschichte empfehlen, die kein Ende hat?

Vielleicht müssen all diese Serien nun in der Zeit verloren sein wie Tränen im Regen.

Fotos: Alper Turfan

 

 

 

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