Beste Serie steckt „Hinter der Gartenmauer“

Nichts ist mir fremder als die Modewelt, aber Coco Chanel sagte einmal: „Die besten Dinge im Leben sind kostenlos. Die zweitbesten sind wirklich teuer.“ Wahre Worte! Wenn ich mir den Preis des Pizza-Ofens ansehe, mit dem ich seit Monaten liebäugle, kann ich Frau Chanel nur Recht geben. Ich habe seltsame Hobbies, ich weiß. In diesem Sinne habe ich heute eine fantastische Serie im Gepäck, die Chanels Logik entsprechend kostenlos ist – ohne versteckte Kosten, ohne Kleingedrucktes, ohne Jamba-Spar-Abo-Falle

Autor: Alper K. Turfan

Na gut, ein bisschen Werbung muss man schon über sich ergehen lassen, aber ein bisschen Schwund ist bekanntlich immer. Bei so viel minderwertigem Mumpitz, den man sonst ertragen muss, ist diese Serie eine wahre Oase in der Bewegtbildwüste. Die Rede ist von „Hinter der Gartenmauer“.

Waschechter Geheimtipp

Moment, lasst mich ausholen! Ja, der Titel ist erstmal wenig einladend, aber davon solltet ihr euch tunlichst nicht abschrecken lassen. Die Zeichentrickserie ist ein waschechter Geheimtipp, auch für Erwachsene… oder vielmehr: insbesondere für Erwachsene!Die beiden Halbbrüder Wirt und Greg könnten kaum unterschiedlicher sein. Wirt ist ein ängstlicher, unsicherer Teenager, Greg ein fantasievolles Energiebündel. Eines Tages klettern die beiden über eine Friedhofsmauer und landen in einem finsteren Wald. Auf dem langen und beschwerlichen Weg nach Hause treffen sie auf wundersame Wesen wie zum Beispiel Beatrice, eine verunsicherte und immerzu genervte Vogeldame. Würde ich an Sternzeichen glauben, wäre sie meines. Was die drei erleben, ist mal witzig und mal rührend. Dazu wird immer heiter gesungen – die Musik ist fantastisch – und ich frage mich, wie eine so großartige Serie noch dermaßen unter dem Radar bleiben kann. Dabei ist sie schnell konsumiert: Mit jeweils zehn bis zwölf Minuten sind die Folgen äußerst kurz. Insgesamt ist die Serie keine zwei Stunden lang. Spielfilmlänge könnte man das auch nennen.

Serie mit Schauspieler-Ikonen

Es wird noch besser: Die komplette Serie gibt es in höchster Qualität und legal auf dem Kanal von Cartoon Network Deutschland auf YouTube, zumindest auf Deutsch. Ich will jetzt nicht wie der nervige Originalton-Snob vom Dienst klingen, aber wer des Englischen mächtig ist, sollte die Songs auch im O-Ton genießen. Gleichzeitig möchte ich die deutsche Synchro nicht durch den Kakao ziehen, denn sie ist mehr als gelungen. Dafür hört man im Original unseren Lieblings-Hobbit Elijah Wood als Wirt. Von wegen „Wer nichts wird, wird Wirt“! Als jemand, der selbst neurotisch veranlagt ist, habe ich mich komplett in seiner Figur wiedergefunden.

Auch Schauspiel-Ikone Tim Curry, Monty-Python-Star John Cleese und Zurück-in-die-Zukunft-Darsteller Christopher Lloyd sind in wichtigen Rollen zu hören. Der Cast ist mit lebenden Legenden gespickt, doch der wahre Star der Serie ist der damals neunjährige Collin Dean, der seine Stimme dem Chaosherd Greg leihen darf. Die Figur sei dem Sohn des Schöpfers Patrick McHale nachempfunden. An dieser Stelle ein Dankeschön an den Sohnemann. Vielleicht lag es an ihm, dass wir mit dieser Serie gesegnet wurden.

Fantheorien und Kult

An mir mag sie ihrerzeit vorbeigegangen sein, doch als sie vor fast zehn Jahren auf Comedy Central erschien, versammelte sich eine kleine Kultgemeinschaft drumherum. Folge für Folge wurde spekuliert und analysiert bis die Server von Tumblr brannten und es wurden unzählige Fantheorien darüber gesponnen, was der Wald repräsentieren könnte und wohin die Reise der verirrten Kids noch führen wird. Befinden sich die beiden vielleicht in einer Art Fegefeuer? In einer Zwischenwelt irgendwo zwischen Leben und Tod? Oder sind wir in Wirts Unterbewusstsein gefangen? All diese Fragen müssen wir uns selbst beantworten. Klare Antworten gibt es in diesem philosophischen Werk nicht. Damals wurde die Veröffentlichung der Folgen sogar so geplant, dass die Mondphasen in der Serie denen der realen Welt entsprechen. Auch die verschiedenen Gestalten sind Anspielungen auf Cartoons des frühen 20. Jahrhunderts, von den Skeletten, die Kürbisse als Köpfe tragen, über einer Schule für Tiere bis hin zum kauzigen Holzfäller, vor dem sich Wirt und Greg fürchten.

Liebenswerte Figuren, eigenartiger Humor

Man sollte sich eben nicht davon täuschen lassen, wenn eine Serie gezeichnet ist oder einen süßen Titel trägt. Hinter der Gartenmauer ist nur bedingt geeignet für Kids. Zugegeben: Es gibt Eltern, die berichten, dass ihre Vierjährigen die Serie lieben. Dazu kann ich nichts sagen, denn ich habe keine Kinder (außer dem einen in meinem Herzen). Seid aber gewarnt, dass so manche Folgen überraschend düster und gruselig geraten sind, bevor Sie Ihre kleinen Nachkommen vor die Mattscheibe setzten und traumatisieren. Allen anderen, die nach kreativen, bizarren und bezaubernden Serien dürsten, sei Hinter der Gartenmauer uneingeschränkt empfohlen. Die liebenswerten Figuren, der eigenartige Humor und die verstörenden Bildwelten sorgen für poetischen und tiefgründigen Seriengenuss. Bravo, Comedy Central! Ihr habt mit der Serie die Grenzen dessen gesprengt, wofür Zeichentrickserien stehen.

Meine Güte, wenn jede so tolle Serie kostenlos wäre, könnte ich mir auch diesen unbezahlbaren Pizza-Ofen für die Küche leisten.

Für alle, die noch mehr Anregungen brauchen: Wie wäre es mit den 24 besten Serien, die dieses Jahr erscheinen? Gleich reinklicken:

Fotos: Alper K. Turfan

 

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